Jahrestage 2 by Johnson Uwe
Autor:Johnson, Uwe [Johnson, Uwe]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783518730713
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2013-07-14T22:00:00+00:00
22. Februar, 1968 Donnerstag
Die Petrikirche zu Jerichow nahm 1938 für die Dienste des Pastors bei einem Begräbnis zehn Mark, an Gebühren für großes Glockengeläut sechs Mark, für die Mitwirkung eines Kantors fünf Mark, für Benützung und Reinigung der Kirche fünf Mark, an Läutelohn für zwei Stunden dreißig Mark, für das Graben der Gruft zwölf Mark. Die Gebühren waren im voraus zu entrichten. Für Lisbeth Cresspahl war aus diesem Katalog alles, bis auf den geschlossenen Raum und das genierliche Singen bestellt; und als die Glocken, eben von Ohlsson in Lübeck umgelagert und auf elektrischen Betrieb umgestellt, anfingen mit ihrem d f g h, wurde in vielen Häusern der Stadt die Arbeit hingelegt. Offenbar nahm die Luftwaffe die Erwerbung des Heimatrechts ernst und hatte im Tagesbefehl für den 14. November darauf hingewiesen, daß in diesem Ort Fußgänger und Fuhrwerke und Kraftwagen beim Anblick eines Trauerzuges anhielten; und heute genügte allen das akustische Signal, denn Lisbeth kam nicht noch durch die Stadt.
Als die Glocken um drei Uhr nachmittags den Beginn der Beisetzung ankündigten, wurde der Sarg auf dem säuberlich geharkten Weg zwischen Schutt und Brandresten vom Hof getragen. Der Sarg war hell, glatt, nicht lackiert. Er sah sehr haltbar aus. Die Träger waren Alexander Paepcke und Peter Niebuhr, beide in Heeresuniform, Horst Papenbrock und Peter Wulff, Alwin Paap und Mr. Smith. Hinter dem Sarg gingen Cresspahl mit dem Kind, dann die alten Papenbrocks, dann die Eingeladenen. Als Lisbeth durch die offene Leichenhalle auf den Friedhof getragen wurde, begannen die Wartenden durch die mannsbreite Pforte nachzudrängen; auch zwischen den Kreuzen und Steinen standen schon Leute, schwarz, still, wie versteckte Gespenster.
Uns’ Lisbeth.
Kiek dat Kint.
Is nicks so ungesunt as dat Kranksien.
Ottje Stoffregen is all dun.
Daß sie Brüshaver nicht abgeholt haben!
Den Segen traut er sich nich. Den traut er sich nich.
Wer sich hier nichs traut, bist du, Julie.
Arm un Bein kann’n nich an’t Für leggen; ’t mütt Holt sien.
Im November sterben, das möcht ich nicht.
Nävelmånd.
Für ein Judenbalg.
Es mag Marie doch helfen.
Und es ist nicht recht, es soll nicht sein! Wenn sie sich umgebracht hat, muß sie in die Ecke zu den Selbstmördern, wo die Ungetauften liegen!
So ne schöne Beerdigung möcht ich wohl auch.
Uns’ Lisbeth. Das wird wohl über uns kommen.
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